16. Oktober 1861 – 28. Mai 1944
Sozialreformerin, Genossenschaftlerin und aktive Frauenrechtlerin
Margaret Llewelyn Davies war die Tochter des sozialistischen Geistlichen und Befürworters von Frauen- und Sozialrechten John Llewelyn Davies und seiner Frau Mary, geb. Crompton. Sie wurde in London geboren und hatte sechs Brüder; die Söhne ihres Bruders Arthur sollten zum Vorbild von J. M. Barries "Peter Pan" werden. Da nur ihre Brüder den Familienamen Llewelyn bekamen, nahm sie später statt ihres zweiten Vornamen Caroline diesen Namen an. Ihr Vater war Pfarrer in Marylebone, einer armen Londoner Gemeinde, durch ihn gewann sie schon früh Einblicke in die Sozialarbeit.
Margaret besuchte das Queen’s College, London, und von 1881 bis 1883 das Girton College, zu dessen Mitgründerinnen ihre Tante Emily Sarah Davies zählte. Eine weitere Tante war mit Professor George Croom Robertson verheiratet, der sich aktiv für das Frauenwahlrecht einsetzte. Nach Besuch des Girton College wurde sie Mitglied der 1883 gegründeten Frauengilde der Konsumgenossenschaftsbewegung (Women's Co-operative Guild / WCG), war ein Jahr Sekretärin der Zweigstelle Marylebone und wurde schließlich 1889 für 32 Jahre Generalsekretärin der WCG - eine Tätigkeit, die sie ehrenamtlich ausführte.
1889 übersiedelte sie mit ihrer Familie in das Pfarrhaus von Kirkby Lonsdale, Westmorland; auch das Büro der WCG kam an ihren neuen Wohnort. Dort lernte sie Lilian Harris kennen, die Tochter eines gut situierten Bankers, die zu ihrer lebenslangen Freundin und Kollegin werden sollte. Bald stellte sich heraus, dass Lilian Harris, die das sorglose Leben einer reichen Tochter führte - sie stickte und beschäftigte sich mit Bildhauerei -, ein ausgezeichnetes Organisationstalent hatte: sie wurde Kassiererin der Gilde und war ab 1901 als Assistant Secretary tätig.
Gemeinsam gelang es ihnen, die Mitgliederzahl (1889: 1700 Mitgliedern / 51 Branchen) kontinuierlich zu erhöhen und aus der WCG eine aktive, feministisch geprägte Vereinigung zu machen, die sich mit sozialen und politischen Themen beschäftigte. Die Gilde setzte sich für das Frauenwahlrecht ein, unterstützte in Zusammenarbeit mit der Women Trade Union (WTU) die Versuche der Arbeiterinnen, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern und konzentrierte sich u. a. ab 1900 auf Gesundheitsreformen für Mutter und Kind. 1904 erschien unter der Herausgeberschaft von Margaret Llewelyn Davies eine Dokumentation über die Arbeit der ersten zwanzig Jahre der Vereinigung: "The Women's Co-operative Guild. 1983–1904".
Neben ihrer Arbeit für die Gilde, kümmerte sie sich selbstlos um ihre Familie: ihre Mutter war 1895 gestorben, Margaret übernahm die Haushaltsführung für ihren Vater und pflegte ihn und ihre Brüder im Krankheitsfall. Nach seiner Pensionierung übersiedelten sie nach London, wo er 1916 starb. Sie lebte nun mit Lilian Harris in einem gemeinsamen Haushalt: ab 1925 in London Hampstead (Well Walk) und in Dorking / Surrey (Hillspur, Punchbowl Lane).
Eine Untersuchung der Arbeitsbedingungen von 2000 Frauen in genossenschaftlichen Betrieben veranlasste die WCG für die Einführung eines Mindestlohns einzutreten; 1912 kamen die Co-operative Wholesale Society und 200 andere Einzelgenossenschaften den Forderungen nach.
Ein weiteres Anliegen der WCG war eine Reform der Scheidungsgesetze und zwar dahingehend, dass eine Scheidung in beiderseitigem Einverständnis nach zwei Jahren Trennung legalisiert werden sollte; eine dementsprechende Aussage von Margaret Llewely Davies vor der Royal Commission sorgte für einige Aufregung.
Sie setzte sich auch dafür ein, durch Einführung von verbesserter Betreuung vor der Geburt, bei der Geburt und nach der Geburt die hohe Kindersterblichkeit einzuschränken. 1915 veröffentlichte sie "Maternity. Letters of Working Women. Collected by the Women’s Co-operative Guild", ein Buch über die Erfahrungen von Gebären und Aufziehen von Kindern, das bewegte und Aufsehen erregte. Im selben Jahr gab sie auch "No One But a Woman Knows: Stories of Motherhood Before the War" heraus.
Während des Ersten Weltkrieges nahm die WCG eine pazifistische Haltung ein; Margaret Llewelyn Davies’ Einsatz für den Frieden wurde derart geschätzt, dass sie in das General Council of the Union of Democratic Control gewählt wurde, welches für Friedensverhandlungen eintrat. Als Mitglied der National Union of Suffrage Societies (NUWSS), nahm Llewelyn Davies an verschiedenen friedlichen Demonstrationen teil, auch als Streikposten vor dem House of Commons im Jahr 1912. Sie unterstütze die Russische Revolution, war erste Vorsitzende der Society for Cultural Relations between the Peoples of the British Commonwealth and the USSR - als deren Vizepräsidentin sie Virginia Woolf nominierte - und engagierte sich in den 20-er Jahren für Russland.
1922 ging Margaret Llewelyn Davies gemeinsam mit Lilian Harris in den Ruhestand, beiden wurde zum Abschied ein Kästchen überreicht, in dem in einer Gedenkschrift viele Arbeiterinnen ausdrückten, wie sehr sich ihr Leben durch die Arbeit der Gilde verändert hatte. Sie stand aber weiter der Bewegung nahe, übernahm als erste Frau den Vorsitz des "Co-operative Congress" 1922 und blieb bis zu ihrem Lebensende ihren Überzeugungen treu.
Ihr lebenslanges Engagement hat dazu beigetragen, dass aus einer Gemeinschaft, in deren Zentrum anfangs die unmittelbaren Bedürfnisse ihrer Mitglieder standen, eine Vereinigung wurde, die in internationalen Dimensionen dachte: 1921 wurde die Internationale Genossenschaftliche Frauengilde gegründet; die Österreicherin Emmy Freundlich, der Margaret Llewelyn Davies freundschaftlich verbunden war, übernahm die Präsidentschaft, Honora Enfield von der englischen Gilde wurde ehrenamtliche Generalsekretärin. Bis 1930 arbeiteten siebenundzwanzig Nationen einschließlich der Sowjetunion mit, den Kongess in Wien im selben Jahr besuchten über zweihundertfünfzig Delegierte aus zwanzig Ländern.
Margaret Llewelyn Davies, die mit Virginia und Leonard Woolf seit langem befreundet war - für Virginia Woolf war sie eine Person, die eine Dampfwalze zum Tanzen bringen konnte - veröffentlichte 1931 in der Hogarth Press "Life as We Have Known It"; das mit Fotos illustrierte Buch hatte einen schwarz oder rot bedruckten, gelben Leineneinband und einen weißen Schutzumschlag mit der Fotografie einer Mrs. Layton, deren Lebenserinnerungen darin abgedruckt sind. Virginia Woolf, die zwar kaum aktiv in politischen Organisationen mitarbeitete, jedoch an das allgemeine Wahlrecht und die Gleichberechtigung der Frauen glaubte, schrieb darin einen Begleitbrief. Sie war 1910 der Liga für das allgemeine Erwachsenenwahlrecht beigetreten und kam durch ihre Freundschaft zu Margaret Llewelyn Davies in Kontakt mit der Frauengilde, die sich für die Wahlrechtsfrage engagierte; 1913 besuchte sie deren Jahreskonferenz in Newcastle, verstand die Forderungen der Arbeiterinnen, fühlte sich aber - als "Bürgerliche" - ausgeschlossen. Sie beschäftigte sich aber weiterhin mit der Genossenschaftsbewegung, unterstützte die Veröffentlichung der Briefesammlung zur Mutterschaftsfrage und leitete ab 1916 die örtliche Gruppe der Gilde in Richmond. In ihrem Begleitbrief zu "Life as We Have Known It" (dt.: "So haben wir gelebt") schildert sie die Diskrepanz, die sie - als Frau der Mittelschicht - gegenüber den Arbeiterinnen empfand, obwohl sie für ihre Forderungen vollstes Verständnis hatte.
Die Kriegsjahre verbrachten Margaret Llewely Davies und Lilian Harris zum Großteil im Lake District; Maurice Llewelyn Davies, Margarets Bruder, besaß in Patterdale
ein Haus (Broad How, heute ein Feriencottage), wo die beiden gemeinsam mit ihrer Haushälterin Mrs. Redhouse halbwegs in Sicherheit waren.
1941 gehörte Margaret Llewelyn Davies zu den engsten FreundInnen, die Leonard Woolf als erstes über den tragischen Tod Virginia Woolfs informierte; in rührenden Briefen aus Patterdale versuchte
sie ihn zu trösten und schrieb, dass nun alles Leiden für Virginia vorbei sei und - wohl von sich und ihrer Gefährtin sprechend, die im Alter blind und schwerhörig war - dass hohes Alter etwas
sei, was nicht unbedingt wünschenswert wäre.
Margaret Llewelyn Davies starb 1944 in ihrem Haus in Dorking, ihre Lebensgefährtin Lilian Harris überlebte sie um sechs Jahre.
Literatur- und Quellenverzeichnis:
J. Howard Woolmer: A Checklist of the Hogarth Press. 1917–1946. Woolmer/Brotherson Ltd., Revere, Pennsylvania 1986
Virginia Woolf: Tagebücher 2, 1920–1924, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1994
Virginia Woolf: Tagebücher 3, 1925–1930, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999
Virginia Woolf: Tagebücher 4, 1931–1935, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003
Virginia Woolf: Tagebücher 5, 1936–1941, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008
Sybil Oldfield (Ed.): Afterwords. Letters on the Death of Virginia Woolf. Rutgers University Press, New Brunswick, New Jersey 2005
Cheryl Law: Women. A Modern Political Dictionary. I. B. Tauris, London, New York 2000
Margaret Llewelyn Davies (Hg.): So haben wir gelebt. Englische Arbeiterinnen erzählen. Begleitbrief von Virginia Woolf. Ullstein Taschenbuch, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1983
Gillian Scott: Feminism, Femininity and the Politics of Working Women: The Women's Co-Operative Guild, 1880s to the Second World War. Routledge, 2005
Barbara J. Blaszak: The Matriarchs of England's Cooperative Movement: A Study in Gender Politics and Female Leadership, 1883–1921. Greenwood Publishing Group, 2000
Girton College Register. 1869–1946. Cambridge 1948
spartacus-educational.com/Wllewellyn.htm
en.wikipedia.org/wiki/Margaret_Llewelyn_Davies
www.goodreads.com/author/show/590585.Margaret_Llewelyn_Davies
en.wikisource.org/wiki/The_Times/1916/Obituary/John_Llewelyn_Davies
www2.hull.ac.uk/discover/womenofconviction/women_of_conviction/mld_and_ef.aspx
www.stanford.edu (Suche: Llewelyn Davies)
babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=hvd.32044021169115;view=1up;seq=7 (The Women’s Co-operative Guild, 1904)
archive.org/details/maternityletters00womeuoft (Maternity)
makingatrack.wordpress.com/2014/03/17/family-features-and-economic-leverage-margaret-llewellyn-davies/
www.broad-how.com/1939-45-wartime
Bildnachweis:
Women's Co-operative Guild Plakat: makingatrack.wordpress.com/2014/03/17/family-features-and-economic-leverage-margaret-llewellyn-davies/
100 Jahre WCG: ourhistory-hayes.blogspot.com/2009/05/womens-co-operative-guild-1883.html
Margaret Llewelyn Davies in mittleren Jahren: makingatrack.wordpress.com/2014/03/17/family-features-and-economic-leverage-margaret-llewellyn-davies/
Margaret Llewelyn Davies ca 1938: modernistarchives.com/person/margaret-llewelyn-davies
Margaret Llewelyn Davies und Lilian Harris 1941: www.broad-how.com/1939-45-wartime
Veröffentlichung über Margaret Lewelyn Davies:
Ruth Cohen: Margaret Llewelyn Davies. With Women for a New World. The Merlin Press 2020
Margaret Llewelyn Davies schrieb zahlreiche Artikel und Pamphlete für Women's Co-operative Guild und sammelte und editierte Briefe und Lebensberichte von
Frauen.
In "The Women's Cooperative Guild. 1893–1904" wird auf 70 Seiten die Entwicklung der Gilde geschildert; die nachstehenden Abbildungen zeigen "Miss Davies" und eine Collage mit Bildern ihres Büros im Pfarrhaus von Kirkby Lonsdale, rechts oben ihre Mitarbeiterin und Freundin Lilian Harris.
1915 veröffentlichte Margaret Llewelyn Davies "Maternity. Letters of Working Women" und "No One But a Women Knows: Stories of Motherhood Before the War". Die darin geschilderten Frauenschicksale bewegten die Öffentlichkeit und erregten Aufsehen. Beide Bände wurden wiederholt neu aufgelegt.
In "Life as We Have Known It", zu dem Virginia Woolf einen einleitenden Begleitbrief schrieb, kommen Frauen aus unterschiedlichen Lebensverhältnissen zu Wort:
Mrs. Layton, die am Umschlag abgebildet ist, schildert siebzig Jahre ihres Lebens - aufgewachsen mit dreizehn Geschwistern in London, Dienstmädchen, Ehe und schließlich Mitarbeiterin der Gilde;
die Frau eines Gleisarbeiters, die Frau eines Bergarbeiters, eine Arbeiterin in einer Hutfabrik, alle schreiben über ihr Leben und ihre Emanzipation im Rahmen der Genossenschaftsbewegung.
Margaret Llewelyn Davies erinnert in ihrem Beitrag an Harriet A. Kidd, eine Mitarbeiterin der Gilde, die sich unermüdlich für die Rechte der Frauen und ArbeiterInnen eingesetzt hat. Der Band
schließt mit Brief-Auszügen von Gildemitgliedern.
Das Buch erschien 1931 in einer Auflage von 2000 Stück und wurde wiederholt neu aufgelegt. 1983 erschien eine deutsche Ausgabe unter dem Titel "So haben wir gelebt. Englische Arbeiterinnen erzählen" ("Die Frau in der Literatur", Ullstein Taschenbuch, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1983)
Zitat aus dem Brief eines Gildemitglieds:
"An dem Tage, an dem ich acht Jahre alt wurde, verließ ich die Schule und begann, auf dem Felde zu arbeiten, zusammen mit vierzig oder fünfzig anderen Kindern,
von denen ich, obwohl noch so jung, schon das älteste war. Den ganzen Tag über folgte uns ein alter Mann mit einer Peitsche in der Hand, die er nicht zu benutzen vergaß. Viele von den Kindern
waren erst fünf Jahre alt." (S. 109)
Margret Llewelyn Davies in mittleren Jahren, um 1938 und gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Lilian Harris 1941 in "Broad How", Patterdale.
Margaret Llewelyn Davies - Veröffentlichungen (Auswahl):
The Extension of Co-operation to the Poor. Cooperative Newspaper Society Ltd., Manchester 1902
The Women’s Co-operative Guild. 1893–1904. Published by the Women’s Co-operative Guild, Kirkby Lonsdale, Westmorland 1904
(Ed.): Maternity. Letters from Working Women. Collected by the Women’s Co-operative Guild. G. Bell, London 1915 / W. W. Norton Company 1978 / Virago 1978 /
archive.org
(Ed.): No One But a Woman Knows: Stories of Motherhood Before the War. Women’s Co-operative Guild 1915 / Virago, London 2012
with Lilian Harris: After the War. The Work of Co-operation. Issued by the Central Committee of the Guild, 1916
The Vote at Last! More Power to Co-operation. Cooperative Printing Society Ltd., London 1918
"The Claims of Mothers and Children". In: Marion Phillips (Ed.): Women and the Labour Party. 1918
Ed. with A. Honora Enfield and Lilian Harris: Co-operation and Labour Unrest. Hampstead Women’s Co-operative Guild. 1919
(Ed.): Life as We Have Known It. By Co-operative Working Women. With an Introductory Letter by Virginia Woolf. Hogarth Press, London 1931 / W. W. Norton Company 1975 / Virago 1977, 2012 / dt.: So haben wir gelebt. Englische Arbeiterinnen erzählen. Begleitbrief von Virginia Woolf. Ullstein Taschenbuch, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1983
Im Berliner Verlag Autonomie und Chaos erschien im Juli 2022 eine Online-Ausgabe von "Frauen in Virginia Woolfs Hogarth Press" mit zusätzlichen
illustrierenden Hintergrundtexten.
Das Buch kann kostenlos gespeichert und bei Bedarf ausgedruckt werden (448 Seiten, Format A4):
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